KLEINE HAIE. ERÖFFNUNGSREDE

ERÖFFNUNGS- REDE

Der Plauensche Grund - eine Kulturlandschaft?  

Meine Damen und Herren, liebe Kunstfreunde, geehrte Förderer des „Projektes Haifische Dresden Süd-West“, ich freue mich sehr, heute Abend zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Während Heike Keller Ihnen das Projekt und die Ausstellung zum geplanten Freiluftkunstraum erläutern und Ihnen die beteiligten Künstler und deren Visionen näher bringen wird, möchte ich einen kurzen Überblick über die Geschichte und Entwicklung des Plauenschen Grundes vom Mittelalter bis in die Nachwendezeit geben.

Der Plauensche Grund, der nach dem ehemaligen Dörfchen Plauen, welches im 13. Jahrhundert erstmalig urkundlich erwähnt wurde, an seinem Eingang benannt worden ist, war eine enge, felsig zerklüftete Schlucht, die sich über 3 km bis nach Tharandt erstreckte. Durch dieses Tal fließt die Weißeritz in die Elbe. Infolge der Enge der Schlucht und der daraus resultierenden Fließgeschwindigkeit der Weißeritz kam es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zu verheerenden Überschwemmungen und Zerstörungen, die letzte zur Jahrhundertflut im Jahr 2002.

Bereits im Mittelalter wurde in der Umgebung des Dörfchens Plauen und im Plauener Grund Pläner gebrochen. Diese Art des Kalksandsteins wurde vor allem als Baumaterial in Dresden genutzt, auch die Stadtmauer wurde mit Plänerstücken verfüllt. Dass sich die Bezeichnung Pläner allerdings vom Namen des Dorfes Plauen ableiten lässt, muss wohl ins Reich der Legenden verwiesen werden.

Noch im 16. Jahrhundert zog sich nur ein einfacher Steig durch die unwegsame Wildnis, die einerseits von der wilden, unberechenbaren Weißeritz und andererseits von einer großen Population wilder Tiere, angeblich wurden sogar Bären gesichtet, geprägt war.  Nur geschickte und rüstige Wanderer durchquerten den Grund unter einigen Mühen, wer Anschluss an die Dörfer suchte, sah sich gezwungen, den Grund weiträumig zu umgehen bzw. zu umreiten. Die Bewohner der angrenzenden Dörfer machten sich über die Jahrhunderte immer wieder für eine Erschließung des Plauenschen Grundes durch den Bau einer befestigten Straße stark, allerdings hatten die sächsischen Kurfürsten eher das Wohl eines ihrer bevorzugten Jagdreviere und die mit dem Bau einer Straße einhergehende Beeinträchtigung der Wildpopulation als das Wohl der Dörfler im Auge, und so wurden sämtliche Eingaben, die den Bau eines gepflasterten Weges vorsahen, mit Hinweis auf die schroffe Natur und die Unwägbarkeit der Weißeritz abgewiesen.

Die ungebändigte Kraft der Weißeritz legte es nahe, im Plauenschen Grund Korn zu mahlen. Schon im 14. Jahrhundert wird eine Wassermühle urkundlich erwähnt. Die Tuchmacher, immerhin Dresdens mächtigste und vermögendste Bürger, regen schon im 15. Jahrhundert den Bau einer Walkmühle an. Mithilfe dieser konnte die Effizienz des Dresdner Tuchmacherhandwerks weiter gesteigert werden und man machte sich ein wenig von teuren Zukäufen unabhängig.

Neben den kurfürstlichen Mühlenprivilegien  und der Nutzung als eines der bevorzugten Jagdreviere der sächsischen Kurfürsten bildete der Plauensche Grund die Kulisse für Inszenierungen und Spektakel der Wettiner. 1698 veranstaltete August der Starke zu Ehren Zar Peters des Großen ein rauschendes Fest anlässlich des Geburtstages seines hohen Gastes unterhalb des Hohen Steins, dem in andächtiger Entfernung auch in Scharen herbei gepilgerte Dresdner beiwohnten. Gut zwanzig Jahre später wurde der Plauensche Grund wiederum Bühne für eine glänzende Inszenierung Augusts des Starken. Anlässlich der Hochzeit seines Sohnes Augusts III. mit Maria Josepha, der Tochter des Habsburger Kaisers, am 26. August 1719, fand eine gigantische Treibjagd statt. Nachdem alles Wild erlegt war, lauschten die Erlauchten Damen und Herren einer italienischen Komödie und feierten im Anschluss ein Fest, welches dem römischen Gott Saturn gewidmet war. Auch dieses Mal schauten die Dresdner, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollten, aus respektvoller Entfernung zu.

Im Jahr 1745 wurde dann endlich der Bau einer Straße bis zu dem Dörfchen Döhlen genehmigt, welche mit der vereinten Kraft von 600 Bergknappen und einigen Zentnern Schießpulver dem Grunde abgetrotzt wurde.Nachdem der Grund nun zum Teil erschlossen war, zogen die Dresdner Städter bei entsprechendem Wetter nach Plauen. Der Plauensche Grund entwickelte sich zum Ausflugsziel. Die Entfernung nach Dresden war mit einer knappen Stunde Fussmarsches zu bewältigen, und die malerische Landschaft und die Wirtschaften in Plauen, die Geldbeutel unterschiedlichen Kalibers zufriedenstellten, entwickelten eine starke Anziehungskraft.

Im Zeitalter der Romantik kamen, angelockt von der urwüchsigen Natur, die großen Vertreter dieser Periode. Die raue, wildgewachsene Landschaft, die durch Fürstenprivileg lange gegen die Eingriffe der wachsenden Großstadt geschützt war, erschien vielen als DAS ideale Tal. Von Caspar David Friedrich sind Aufenthalte im Plauenschen Grund, als deren direkte Folge  mehrere Studien und das Werk „Die Königsmühle im Plauenschen Grund“ künden, verbürgt. Auch Adrian Zingg und Anton Graff verewigten die ungestüme, schroffe Natur in ihren Werken. Den Plan, dem Plauenschen Grund den Anstrich eines romantischen Naherholungsparadieses für alle Dresdner zu geben, vereitelte zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts die beginnende Industrialisierung.

Ab 1807 durchzog eine Verkehrsstraße den Grund in seiner ganzen Länge, ein halbes Jahrhundert später kam noch eine Bahnlinie dazu. Der augenscheinlichste Wandel im Erscheinungsbild waren wahrscheinlich die vielen Steinbrüche, die nun den Grund nach und nach erweiterten. Doch auch die Begradigung und Einfassung der Weißeritz zerstörte viel vom ursprünglichen Charme dieses schönen Fleckchens Erde.

Im Jahr 1857 wurde die Felsenkellerbrauerei gegründet. Riesige Gewölbe wurden ins Innere der Felsen getrieben und um die Jahrhundertwende war die Brauerei eine der wichtigsten im sächsischen Königreich. 1845  entstand am Feldschlößchen eine Fabrik für Schokolade, die von den beiden Unternehmern Petzold und Aulhorn gegründet wurde. Nachdem sich die Marke etablierte, zog die Firma 1898 in den Reisewitzer Park um und avancierte zum Großbetrieb. Im zweiten Weltkrieg wurde die Fabrik wie viele andere in Plauen und Dresden zerstört, in der DDR enteignet.  Eine weitere Firma verschrieb sich der Herstellung süßer Naschereien. Die Firma von Riedel&Engelmann war damit so erfolgreich, dass sie die kursächsischen Schwerter als Markenzeichen führen durfte.

Exemplarisches Beispiel für die voranschreitende Industrialisierung soll die ehemalige Hofemühle sein, die 1852 völlig heruntergewirtschaftet und heruntergekommen von dem Müller Traugott Bienert aus Eschdorf übernommen wurde. Nachdem er die Mühle 20 Jahre lang bewirtschaftete und nach Bildungsreisen durch ganz Europa modernisierte, konnte er diese im Jahr 1872 erwerben. Nachdem er mit 8 Mitarbeitern angefangen hatte, beschäftigte die Mühle, die immer weiter wuchs und modernisiert wurde in den 1890ern schon über 200 Arbeitskräfte. Um die Jahrhundertwende hatte sich die ehemalige Hofemühle, die nun überall nur Bienertmühle genannt wurde, in ein prosperierendes Unternehmen gewandelt, zu dem neben einer Weizenmühle eine Roggenmühle, eine Ölfabrik mit dazugehöriger Raffinerie, eine Bäckerei und großangelegte Magazine gehörten.

Die Wirtschaftsleistung und der Aufschwung der Mühle färbte auch auf die Plauener ab. Neben Stiftungen der Familie Bienert für die Armen Plauens, den Ausbau der Schule und die Ortsgestaltung waren es vor allem der Anschluss an eine eigene Wasserleitung, die für Trinkwasser sorgte und die Anbindung an das von Bienert verlegte Gasnetz, welches in Plauen für Straßenbeleuchtung sorgte. Nach der Umstellung auf Dampfkraft gehörte die von der Familie Bienert betriebene Nahrungsmittelfabrik zu einem der größten Nahrungsmittelproduzenten des Kaiserreichs. 

Zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts rückt die Kunstszene selbst in die Nähe des Plauenschen Grundes. War es im Zeitalter der Romantik die Naturgewalt des Tales mit der Weißeritz, die in den Fokus der Kunstschaffenden gerückt war, fühlten sich die Kunstschaffenden nun persönlich von den Wohltaten der Bienerts angezogen. Die Stiftung zur „Unterstützung notleidender Künstler“ schrieb nach dem ersten Weltkieg die Gestaltung des Westendparks aus. Planungen sahen einen Skulpturenpark vor. Der Park wurde 1937 in Fichtepark umbenannt, nach dem Dichter Johann Gottlob Fichte. In Ida Bienert, der Schwiegertochter Traugott Bienerts,  erwuchs der Kunstszene eine feinsinnige Mäzenatin, deren Haus den Großen der Modernen Kunst immer offen stand. Neben Kokoschka, Emil Nolde, Otto Dix und Paul Klee waren es auch die Tänzerinnen Mary Wigmann und Gret Palucca, die sogar kurzzeitig Schwiegertochter Ida Bienerts war, die in der Villa Erwin und Ida Bienerts in Plauen ein und aus gingen. Die Kunstsammlung Ida Bienerts mit einigen bekannten und großen Namen verließ nach dem 2ten Weltkrieg mit ihrer Besitzerin die Sowjetische Besatzungsszone und verstreute sich in alle Winde.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag die Industrie im Plauenschen Grund am Boden. Wie in ganz Dresden war vieles zerstört. Die Industrieanlagen an der Eisenbahnlinie waren immer wieder alliierten Luftangriffen ausgesetzt gewesen. Selbiges galt für Plauen. Der Wiederaufbau und die Gründung der DDR folgte. In den übriggebliebenen Fabriken ging alles seinen sozialistischen Gang. Die Besitzer der Bienertmühle wurden genau 100 Jahre nach dem Kauf der Mühle durch Traugott Bienert enteignet. Im Jahr 1972 war Schluss für das Unternehmen, die Produktion wurde als VEB Dresdner Mühlenwerke fortgeführt. Im selben Jahr wurde auch Riedel&Engelmann enteignet. Die Firma wurde fortan als VEB Elbflorenz bezeichnet und führte die Herstellung von Schokolade fort. Natürlich endet die Geschichte des Plauenschen Grundes nicht mit dem Fall der Berliner Mauer. Allerdings konnten sich viele der hier angesiedelten Industriezweige in der Nachwendezeit nicht behaupten und nach 40 Jahren Existenz in einem mehr oder weniger geschlossenen System flexibel auf die Spielregeln der nun gewandelten kapitalistischen Wirtschaftsordnung eingehen. Von den ehemaligen richtungsweisenden Traditionsunternehmen, die schon mit der Umstellung auf planwirtschaftliche Produktionsverhältnisse stark gefordert waren, gingen die meisten nach der Wende einfach unter. Auf dem Gelände der Dresdner Felsenkellerbrauerei wird heute nicht mehr gebraut, die VEB Dresdner Mühlenwerke wurden bis kurz nach der Wende als Mühlenwerke GmbH weitergeführt, ging aber bald danach in Konkurs. Industriebrachen und Leerstand blieben.  

Emanuel Priebst, 16.09.2009, Kunstbahnhof Dresden

kunstbahnhof v. 2/2008