PRESSECHO DER SPIEGEL

DNN

Spiegelblick als Hürde der Standortbestimmung

Letzte Ausstellung im Kunstbahnhof spielt mit dem Begriff der Unsterblichkeit

Als Kuratorin Julias Kiss mit den Worten, „Phänomene der Natur agieren dabei als Zeichen der Entschleunigung, des intensiven Wahrnehmens von etwas, was Zeit- liches überdauert“, die Betrachtung des Tarkowski Films „Der Spiegel“ abschloss, bekamen die zahlreichen Besucher der Ausstellungseröffnung bei den ersten Berührungen mit den Kunstwerken einen ersten Überblick darüber, worum es sich bei der Werkschau der sechs Künstlerpositionen überhaupt handelt. „Wir alle stehen schon am Rand des Meeres. Ich bei denen, die die Netze wählen, wenn wie ein Schwarm zieht die Unsterblichkeit“.

Als Arseni Tarkowski die aus seinem Gedicht „Alles ist unsterblich“ stammenden Verse niederschrieb, ahnte er sicherlich noch nicht, dass sein Sohn Andrej einige Jahre später als oft missverstandener Filmregisseur der UdSSR mit seinen Film „Der Spiegel“ ebenfalls über die Unsterblichkeit reflektieren wird. Als Rückblick und Bekenntnis auf sein eigenes Leben bedacht, entwickelte Andrej Tarkowski über den Ich-Erzähler Aleksej eine filmische Selbstbetrachtung, in der die eigene Biographie mit kollektiv erlebter Geschichte verschwimmt. Als Hommage an die Zeit und Erinnerung rettet die filmische Erzählung das längst Vergangene in die Gegenwart. Um sich der Unsterblichkeit des Ganzen anzunähern, führt Tarkowski über die Erzählung eines einzelnen menschlichen Schicksals dem Betrachter die kleine Zeitskala vor, die uns bemessen an der großen Zeitskala historischer Momente an Bedeutung verlieren lässt.

Als Auseinandersetzung, aber nicht als Retrospektive des Films gedacht, sind im „Kunstbahnhof“ an der Tharandter Straße unter dem Titel „Der Spiegel – Alles ist unsterblich“ Arbeiten, von Susanne Kaiser, Heike Keller, Matthias Rummer, Birgit Schuh, Gisela Weimann und Julia Ziegler zu sehen. Inspiriert durch den Film haben sich die beteiligten Künstler durch ihre genutzten Medien dem Filmmaterial gewidmet und einen jeweils höchst individuell ausgerichteten Blick auf dessen Themenkomplexe entwickelt.

Während die Dresdener Grafikerin Heike Keller den Aspekt der individuellen Erinnerung in ihren Lack-, Tusche- und Eddingzeichnungen auf Papier und Spiegelflächen durch diskontinuierliche Strukturen in der handwerklichen Umset- zung zum Ausdruck bringt, beschäftigt sich Susanne Kaiser aus Leipzig in ihrer Arbeit „Heroes“ spannungsreich mit Themen wie Absenz vs. Präsenz, als auch Suchen und Finden. Hinter einem Vorhang trifft der Besucher auf eine scheinbar leere Wand und ein geschlossenes Kästchen auf einem Sockel. Als wolle die Künstlerin Informationen verschleiern, flimmert für Bruchteile von Sekunden das populistische Statement „Wir Einheimischen wollen keine ungebetenen Kräfte von außerhalb“ auf, während in dem Holzkästchen aus der Sicht eines realen kindlichen Zeitzeugens die drohende Bombardierung Dresdens im Februar 1945 wie ein wunderbares Abenteuer wiedergegeben wird.

Nicht weniger intensiv in seiner Nachwirkung präsentiert sich die neunteilige Installation „Standortbestimmung“ der Dresdener Künstlerin Birgit Schuh. Ihre mit unterschiedlich viel Wasser gefüllten Glaskuben, auf deren Boden bruchstückhaft Fotografien von sich selbst, ihrer Tochter und Mutter generationsübergreifend präsentiert werden, lassen je nach Veränderung des Standortes und Blickfeld die Bilder erscheinen oder verschwinden. Eine mögliche Annäherung an die Künstlerin und ihre Familie durch den Betrachter wird durch diese Wahrnehmungshürden stets unterbrochen, aufgehoben und geradezu negiert.

In den Arbeiten von Gisela Weimann „Objekt der Begierde“ und der Berliner Künstlerin Julia Ziegler „Looking Glas“ spielt das Medium Glas eine gewichtige Rolle. Ziegler präsentiert hinter kreisförmigen, konvex gewölbten Glasscheiben Fotografien von eigenen und fremden, meistens steril gehaltenen Wohnräumen in verblassten und unscharfen Farbtönen, die den Betrachter und sein Umfeld durch die Spiegelung in die Arbeit zum Bestandteil der Arbeit machen. Das begehrte Trabant-Rückspiegelmodell (Luxus rechts) spielt in der Installation von Gisela Weimann die Hauptrolle. Durch ebenfalls konvexe Spiegelflächen werden diese in der Originalverpackung gestapelten Objekte der DDR-Trabanthalterbegierde für den Betrachter gespiegelt und erscheinen so als unerreichbar in ihrer Wiedergabe. Abgeschlossen wird diese anregende Werkschau mit der Installation „Wir waren uns schon immer ähnlich“ von Matthias Rummer. Sein abstrahierendes Portrait einer weiblichen Büste durch ein schillerndes Perlenmuster verweist auf die wie sprichwörtlich verwendete Aussage einer nach Ereignissen aufgefädelten Biografie.

Ebenfalls verändern wird sich nach Ablauf der Ausstellung „Der Spiegel“ die Biografie des Kunstbahnhofes. Das 2005 von Anke Binnewerg gegründete und bis heute federführend begleitete Ausstellungsprojekt verliert nach 18 anspruchs- vollen Ausstellungen seinen festen Standort an der Tharandter Straße und wird in Zukunft ohne festen Raum im Stadtraum Dresden durch verschiedene zeitgenös- sische Ausstellungsprojekte fortgeführt. „Mir geht es auch darum, festgefahrene Rituale aufzubrechen und durch neue Ansätze zu expandieren. Auch weiterhin gefördert durch das Amt für Kultur und Denkmalschutz wird Anke Binnewerg vor allem mit engagiert und ideenreich auftretenden Jungkünstlern Ausstellungen initiieren. Feststehende Ausstellungen und deren Termine für das Jahr 2010 sind auch in Zukunft der Internetplattform www.kunstbahnhof-dresden.de zu entnehmen.

Die Ausstellung „Der Spiegel – Alles ist unsterblich“ wird noch bis zum 27. November jeweils mittwochs bis freitags von 13-17Uhr zu sehen sein. Anlässlich der Ausstellung wird der Tarkowski-Film „Der Spiegel“ im Kino in der Fabrik (KIF) am 15., 19. und 26. November jeweils um 20:30Uhr im „Schwarzen Salon“ gezeigt.

Von Sebastian Osterhaus, Dresdner Neueste Nachrichten, 21./22.11.2009

PLUSZ

Ausstellungsprojekt zu Tarkowski-Film

DAs Leben im Rückspiegel

Trabant-Rückspiegel des Modells Luxus stehen in Gisela Weimanns Intallation symbolisch für den Blick in die Vergangenheit. In Julia Zieglers Objekten aus Glasscheiben und Fotografien spiegelt sich der Betrachter, während Birgt Schuhs wassergefüllte Glaskuben auf ihre Weise die Flüchtigkeit von Spiegelbilden thematisieen. Auch Heike Kellers Zeichnungen auf alte Spiegel, Susanne Kaiser Lichtinstallation und Matthas Rummers Materialcollagen kreisen um die Fragen der indiviuellen Erinnerung, biografischen Verflechtung, um Sichtbarkeit und Verheimlichung.

Impuls und Inspiration für die aktuelle Ausstellung im Kunstbahnhof gaben verschiedene Themenkomplexe aus Andrej Tarkowskis Film DER SPIEGEL. Der russische Regisseur (gest. 1986) stellt darin ine Rückblende auf sein Leben dar, eingebettet in dokumentarisches Filmmaterial bedeutender Ereignisse.

Dr Spiegel - Alles ist unsterblich: bis 27. November, Kunstbahnhof Dresden; 15./19./26. November, jeweils 20.30 Uhr Filmvorführung DER SPIEGEL im KIF Dresden

PluSZ, 12.11.2009, Seite 8

kunstbahnhof v. 2/2008