PRESSECHO REMEMBER ME

DNN

Auffinden und sehen von Narben
Drei Künstler setzen sich auf unterschiedliche Weise mit Geschichte auseinander

„Keine Wunde ist mir so vernarbt, dass ich sie ganz vergessen könnte“. Schon Francesco Petrarca, einer der bedeuteten Dichter und Geschichtsschreiber des italienischen Quattrocento hatte gewusst, dass jede Geschichte als Narbe der Vergangenheit Spuren ziehen wird. „Erinnerungskultur“ – dieser gerade in den letzten Jahrzehnten immer häufiger auftauchende Begriff umschreibt die ungebrochene Begeisterung, aber auch die Angst vieler in Geschichte Verstrickter, für die Rekonstruktion historischer Ereignisse. Auch in der Bildenden Kunst und Kunstwissenschaft entfaltete sich spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine flächendeckende künstlerische Forschung zu Themen wie Erinnerung, Gedächtnis und Vergangenheit.

Die übersichtliche, geradezu minimalistisch gehaltene Präsentation der Ausstellungsstücke lädt vor jedem einzelnen Werk zur Einkehr ein. Erinnere dich, versuche zu rekonstruieren, forme ein Bild von Geschichte – das scheinen die politisch hochbrisanten, aber dennoch ohne Zeigefingerkultur ausgeführten Werke der drei Künstler in den Räumlichkeiten des Kunstbahnhofs im Canon leise zu flüstern. Das von der Künstlerin Anke Binnewerg kuratierte Ausstellungsprojekt „Remember Me“ fasst drei künstlerische Positionen, die aufgrund familiärer Begebenheiten und aus emotionalen Bedürfnissen heraus die versteckten, verdrängten oder vergessenen Zeugnisse und Spuren der Sudetendeutschen Geschichte aufgreifen.

In den Arbeiten der Dresdener Künstlerin Susan Donath und ihren tschechischen Ausstellungspartner Radek Fridrich und Zdena Kolečková wird den aufgegriffenen Relikten, baulichen Denkmälern der Sepuralkultur und konkreten Orten dieser Geschichte eine ganz besondere Wichtigkeit zugestanden, die auf der einen Seite die Neudefinition des Denkmalbegriffes stützt und die abgebrochene Geschichte der nach dem Zweiten Weltkrieg Vertriebenen in den Objekten, Zeichnungen und Fotografien materialisiert.

Als Ausgangspunkt für das Gemeinschaftsprodukt „Remember Me“ ist die von Susan Donath 2008 begonnene Beschäftigung mit der Geschichte der Sudetendeutschen aufgrund eines Aufenthaltes in Ústí nad Labem. Bei Besuchen von Friedhofsanlagen fiel der gelernten Steinmetzin auf, dass viele der deutschen Grabstätten verwildert waren. Etliche Grabsteine waren verwittert, plastische Elemente zerstört, Beplanzungen nicht mehr vorhanden. Diese Funde reizten die Künstlerin emotional, so dass sie mit einer geschichtlichen Spurensuche und der Auseinandersetzung der historischen Hintergründe begann. Nach dem Zweiten Weltkrieg entzog man der in diesem Gebiet lebenden und seit 1919 angesiedelten deutschen Bevölkerung durch die bis heute noch existenten Beneš-Dekrete aufgrund „historischer Notwendigkeiten“ ihre Lebensgrundlage, so dass in den Folgejahren allein in Tschechien rund 2,5 Millionen Deutsche vertrieben wurden. Ganze Landzüge wurden von der sudetendeutschen Bevölkerung gesäubert und neu besiedelt. Die Hinterbliebenschaften der Vertriebenen blieben als Spuren zurück.In ihren 2008 erstellten Arbeiten „Die Toten“ und „Die Toten II“ thematisiert Susan Donath grob gefasst kulturelle Erscheinungsformen der Totenbestattung und deren Gedenkens. In ihrer in der Ausstellung gezeigten Werkreihe anhand einer fotografischen Dokumentation bestand die künstlerische Arbeit aus einer Instandsetzung der auf einem dortigen Friedhof vorgefundenen deutsch-tschechischen Begräbnisanlage der Familie Lehmann/Růžička. Nach der Klärung der Eigentumsfrage, der verlaufenden Recherche nach Nachfahren und rechtlichen Gegebenheiten schloss die Künstlerin einen Grabpflegevertrag und ist nun Eigentümerin dieser über Jahrzehnte vergessenen Grabanlage.

Fotografische Detail- und Nahaufnahmen von Fundstücken und dazu an der Wand angebrachte Texte, in denen die Künstlerin die Beziehung der Tschechen zu dem stetig präsenten Narben ihrer sudetendeutschen Mitbürger reflektiert, bestimmen den Ausstellungsbeitrag von Zdena Kolečková. Ihr Augenmerk liegt in der Offenlegung und Sichtbarmachung unscheinbarer, vergänglicher und durch Gewöhnung kaum noch wahrgenommener Zeichen. Ihre Abbildungen von gefundenen Medaillons, Schmuckstücken oder Dachbodenfunden laden durch ihren inszenierten Dokumentationsstil zur Erforschung des Visualisierten ein.

Abgerundet wird die künstlerische Spurensuche durch einen Wettlauf gegen die Zeit. Der ursprünglich als Schriftsteller tätige Radek Fridrich notiert bei seinen Streifzügen auf Friedhöfen Nordböhmens Inschriften von Gräbern ausschließlich deutscher, während der kommunistischen Zeit bewusst vernachlässigten und dadurch verwilderten Grabanlagen. Nachdem Fridrich anfänglich diese Aufzeichnungen der authentischen Erinnerung in poetische Epitaphen umsetzte, fertigte der Künstler in den letzten Jahren vermehrt Blei- und Buntstiftabriebe, so genannte Frottagen von den Inschriften auf kleineren Blättern an.

Das Sehen und Auffinden von Narben einer ungemütlichen Geschichte, die zu einer Gestaltung der Gegenwart durch den Austausch kultureller Wechselwirkungen führen kann, ist noch bis zum 12. Juni von mittwochs bis freitags zwischen <13 und 18 Uhr in den Räumlichkeiten des Kunstbahnhofs Dresden zu sehen. Im Rahmen der Ausstellung „Remember Me“ ist auch ein gelungener Ausstellungskatalog erschienen, der im Kunstbahnhof erhältlich ist.

Sebastian Osterhaus

DNN

Tschechen auf den Spuren Sudetendeutscher

Radek Fridrich las zur Eröffnung der Ausstellung "Remeber me" im Kunstbahnhof Dresden-Plauen

Da treten sie noch einmal auf, die Toten. Schon ihre Namen - welch alter, fremd anmutender Klang: der Pachterhansel-Franzseff, der Hof-Korl, der Ettrich-Schuster und der Windmüller. 31 Männer,  dazu als einzige Frau die Hübbelgroßmutter, Bewohner von Rosendorf (Ruzova), einem Ort nordöstlich von Decin (Tetschen-Bodenbach) - sie alle lässt der tschechische Dichter, Publizist, Übersetzer und Bildende Kiinstler Radek Fridrich zu Wort kommen, in seinem zweisprachigen Gedichtband "Rec mrtvejch" / "Die Totenrede", aus dem er jetzt im Rahmen einer Tschechischen Literaturnacht im Kunstbahnhof in Dresden-Plauen gelesen hat.
In wenigen Gedichtzeilen lässt er sie von ihrem Leben berichten: von schwerer Arbeit, Krankheit, Unfällen, vom Tod der Frau und der Kinder. Alltägliches steht neben schicksalhaften Momenten. Es sind prägnante Miniaturen, in denen das Dasein einfacher Menschen, die langst verschwunden sind, noch einmal Sprachgestalt annimmt. Einer von ihnen, der Teichfriedels-Rudolf stellt lapidar fest: "Unser Leben war immer hart, wir murrten nicht".
Es ist dokumentarische Lyrik. Ein Maler hat in den 1930er Jahren diese Leute porträtiert, sich deren Lebensgeschichten erzählen lassen und die damals in einem Buch veröffentlicht. Fridrich hat deren Worte zu Gedichten gefügt.
Wir haben Bruchstücke verloren gegangener Existenzen vor uns - so, wie Radek Fridrich sie auch in seinen Frottagen gestaltet: Er legt Papier auf die alten Grabsteine, lässt mit weichem Stift die eingemeißelten Inschriften sichtbar werden. Sie hängen in der Ausstellung "Remember me" im Kunstbahnhof, die mit der Lesung eröffnet worden ist. Fragmente aus Fraktur- oder Jugendstilbuchstaben. Der Betrachter kann "ter" erkennen, ergänzt das im Kopf zu "Mutter". Dann tritt er einige Schritte zurück und nimmt auf einmal graphitgraue Köpfe wahr mit hohlen Augen und Mündern. Die Geister der Verstorbenen sind unter uns. Radek Fridrich ruft sie herauf. Eine künstlerische Spurensicherung, eine Arbeit gegen den Tod.
Das Bemerkenswerte daran: Ein Tscheche, 1968 in Decin geboren, sucht nach Resten jener Sudetendeutschen, die nach 1945 aus Nordböhmen flohen oder vertrieben wurden. Fridrich hat zwar eine deutsche Großmutter, doch die Vertreibung war für ihn ebenso ein politisches Tabu wie für die DDR-Bürger jenseits der Grenze. Nun machen er und einige aus seiner Generation der Nachgeborenen die Erinnerung zur gestalterischen Arbeit, frei von ideologischer Vertriebenenverbands-Rhetorik. Befreien das Thema aus dem Waffenarsenal des Kalten Krieges, entdecken es in seiner menschlichen Dimension als Stoff für eine Kunst, in der Deutsche und Tschechen von heute zueinander finden. Auch die tschechische Künstlerin Zdena Koleckova, geboren 1969 in Usti nad Labem (Aussig), ist auf der Suche nach ihren Wurzeln auf Gegenstände der Sudetendeutschen gestoßen, die heute im Alltag ihrer Verwandten gebraucht werden. Sie hat das in eigentümlich leuchtenden Fotografien festgehalten, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind.
Wie auch die Dokumentation der 1979 in Apolda geborenen Susan Donath. Das Original ihres Kunstwerkes, das zugleich Öffentlich sichtbare Erinnerung ist, befindet sich auf dem Friedhof in Usti (Aussig), im Stadtteil Strekov: Das verwahrloste Grab der deutsch-tschechischen Familie Lehmann-Ruzicka, das sie hergerichtet hat und pflegt.

Tomas Gärtner

DNN 16./17.5.2009

PLAUENER ZEITUNG

Ausstellung: "Remember me"

Dölzschen. Zur Tschechischen Literaturnacht in Dresden liest Radek Fridrich am 13. Mai, 19 Uhr, im Kunstbahnhof an der Tharandter Straße in Dölzschen Passagen aus seinen Büchern „Die Totenrede“ und „Der Schreckliche“ und eröffnet damit die Ausstellung „Remember me“: In dieser befassen sich die Künstler Fridrich, Zdena Kolecková und Susan Donath mit zurückgebliebenen Relikten und Zeugnissen der Sudetendeutschen. Fridrich dokumentiert seit einigen Jahren vergessene deutsche Friedhöfe in Nordböhmen. Zeichnungen und Inschriften der Grabsteine verar-beitete er in Frottagearbeiten, in denen sich Fragmente eigener Gedichte, Namen verstorbener Menschen, Ortsnamen mischen. Kolecková ist familiären Erinne-rungen und der Frage der Kollektivschuld auf der Spur. Sie holt in ihren Fotos und Bildern unscheinbare Zeichen deutscher Vergangenheit in der tschechischen Grenz-region ans Licht wie kaum lesbare Schriftzüge an Häusern. Donath versucht in ihrer Intervention „Den Toten“ (Foto) eine Versöhnung von Deutschen und Tschechen und restaurierte die Grabstätte einer deutsch-tschechischen Familie in Ústí nad Labem, pfl egt diese. Sie setzt damit ein subtiles, unübersehbares Zeichen. (StZ)

Dresdner Stadtteilzeitungen / Plauener Zeitung. Auzsgabe 96, April/Mai 2009, S. 4

kunstbahnhof v. 2/2008