PRESSEECHO POINT OF VIEW

DNN

AUFSTÖRENDE PERSPEKTIVEN

„Point of  View – Schaukästen und Vitrinen“ in einer Ausstellung im Kunstbahnhof Dresden
Abstufen, einreihen, formieren, gestalten, rubrizieren und systematisieren – so könnten Ordnungssysteme und ihr Prinzip definiert werden. Sammeln und Aufbewahren von Dingen führt in einer weiteren Instanz stets dazu Ordnungen der Zusammensetzung zu entwerfen, die eine spätere Präsentation dem Betrachter verständlich und informativ machen sollen. Eine wesentliche Bedingung dabei scheint die Authentizität zu spielen, die über Wert und Nicht-Wert, Bewahrens-wertes und Abfall entscheidet.

So gesehen, brechen diese Objekte in ihrer Präsentation unsere traditionellen Wahrnehmungsgewohnheiten, die uns das klassische Prinzip der Zurschau-stellung in gläsernen Vitrinen und Schaukästen in der Vergangenheit gelehrt hat. Was wir hier sehen, sind scheinbar verwesende Tierkadaver, ein schleimiges Schnecken-ABC oder die zuckersüße Brustwarzenversuchung in Pralinenform. Auf den ersten Blick scheint der Betrachter diesem detaillierten Repräsentations-repertoire einen gewissen Grad an ungreifbarer Authentizität schenken zu wollen. Doch der zweite Anblick entlarvt die aufgestellten, eingeteilten, formierten, gründlich gegliederten und gestaffelten Objekte in ihren gläsernen Schutzhüllen.

Mit „Point of View – Schaukästen und Vitrinen“ zeigt der Kunstbahnhof Dresden an der Tharandter Straße eine vielfältig übersetzbare und perspektivische Sicht auf unsere Sicht durch Vitrinenglas. Die beteiligten Künstler Susan Donath (Dresden), Stefan Leyh (Dresden), Alexandra Klawitter (Solingen), Anne Schmidt (Essen) und Birgit Schuh (Dresden) haben unter dem Gesichtspunkt einer mannigfaltigen Auseinandersetzung mit verschiedenen Präsentationsformen das Prinzip des Ein- und Durchblicks im Medium der Objektkunst untersucht und auf seine Wertigkeit hin hinterfragt. 

Während Susan Donath in einer ihrer drei ausgestellten Arbeiten die Uniformität und Unmöglichkeit auf Individualität einer naturwissenschaftlichen Schaukasten-setzung durch ein farbenfrohes Schneckenkabinett aufzubrechen scheint, wird dem Betrachter bei der Betrachtung der penibel genau an- und untereinander gereihten Kunstharzschnecken mit Glasmurmelhäuschen die Widersprüchlichkeit der ge- samten Präsentation bewusst. Individualität und Artvielfalt wird durch konsequente Reihung und Gliederung wieder aufgehoben. Am auffälligsten wird die Täuschung in der deutlichsten naturwissenschaftlichen Form der Zurschaustellung. Die hinter einer Glasscheibe von Hfbk-Student Stefan Leyh in Schaukastenform posi- tionierten Schmetterlingsarten erscheinen auf den ersten Blick wie eine klassische Präsentation von Artenreichtum in der Natur und entpuppen sich urplötzlich als mit der Airbrushtechnik fein kontrastiert umgesprühte Kampfflugzeugmodelle. Diese äußerst perfekte Täuschung führt den Gedanken an eine Konservierung für eine Zukunft vor Augen, in der dem „Vor-Bild“ keine Berechtigung auf Eigenheit mehr zugestanden wird.

Wie zuckersüße Provokationen schmiegen sich die kleinen Pralinen in ihre zugewiesene hoch veredelte Pralinenschachtel. Was hier nach einer bittersüßen und kalorienenstarken Verführung aussieht, löst beim Erkennen in seiner Gesamtheit einen gewissen Ekel aus. In der Installation „Kann Liebe Sünde sein?“ von Bildhauerin Birgit Schuh verwandeln sich die zarten Versuchungen in aus Wachs und Latex gefertigte Brustwarzen und Lippen. Untermalt werden diese körperlichen Relikte durch aus Lampenschirm und Bucheinband gefertigte Menschenhautservierten. Eine Kritik in Fragmentierungsform, die sich mit der Problemthematik von Körperlichkeit als Ware und Genussmittel spannungsvoll auseinandersetzt.

Krankheit, Verfall und Verwesung des Tierischen wird auf einer sehr narrativen Ebene in den Schaukästen von Alexandra Klawitter visualisiert. Was hier zu sehen ist, kann nur aus der Generation „Natur- und Umweltschutz“ stammen und zeigt sich als „Körperwelten“ im Setzkastenzuschnitt. Albträume von Konservierung verstören und irritieren und führen den Betrachter zu einem Abbild von Tier, dass nicht nur den Realismus der Kategorie Skulptur, sondern auch die natürliche Existenz von Tier und Mensch hinterfragt.

Abgerundet wird die Vitrinen- und Schaukastenparade durch die Modellbau-landschaft ähnliche Objekteinstallation „Der Traum vom Leben“ von Anne Schmidt. Dieser Traum erscheint in seiner Präsentation von Spielzeugfiguren aus Holz und Plastik und seinen Welten voller Imaginationen inszeniert, kitschig und verspielt und ebenso schutzbedürftig. Was der Betrachter hier erfährt, könnte ein Einblick in ein kindliches Schwelgen und zugleich ein Schlüssel für eine Welt sein, wie sie halt nur noch hinter Vitrinenglas stattfinden kann.

Die äußerst kleinteilige und mit Detailfreude inszenierte Ausstellung „Point of View“ leistet keine Antworten, wirft aber Fragen auf, die sich mit Repräsentation, Symbolisierung, Klassifizierung und Existenz beschäftigen. Diese fünf sehr verschiedenartigen künstlerischen Ansätze laden zum Überdenken der eigenen Perspektive auf Wahrnehmung hinter Glas ein.

Sebastian Osterhaus, DNN 9.10.2008, S. 10.

PLUSZ

Plaste-Ente hinter Glas

Der Dresdner Kunstbahnhof präsentiert Kunst in Schaukästen und Vitrinen.

Als Vorrichtungen musealer Präsentation überzeugten Schaukästen und gläserne Vitrinen über Jahrhundete vor allem in Wunderkammern und naturkundlichen Kabinetten, bevor sie im 20. Jahrhundert auch in die zeitgenössische Kunst Einzug hielten. Eine detailreiche, kleinteilige und pointiert verspielte Ausstellung im Kunstbahnhof setzt sich derzeit mit diesen Präsentationsformen auseinander, die dabei nicht von den präsentierten Objekten zu trennen sind.

Nippelschau. Stefan Leyhs täuschend echt wirkende Schmetterlingssammlung und Susan Donaths lebendig scheinende Schneckenkollektion rücken dabei am deutlichsten in die Nähe naturwissenschaftlicher Präsentationsformen. Hingegen entfremdet Alexandra Klawitter die Thematik konsequent. Sie musealisiert Fund- stücke des Alltags, indem sie selbige in Plastikdosen präsentiert. Anne Schmidt führt eine weitere Bedeutung ein. Um ihre skurrilen Spielzeugwelten angemessen zu schützen, arrangiert sie diese in kleinen Glaskästen. Birgit Schuh wiederum nutzt Vitrinen zur Veredelung ihrer Arbeiten. Ihre Ansammlung von Brustwarzen aus Latex, Wachs und Papier erinnert an Auslagen feinster Pralinen in Luxuskaufhäusern. gmc

Point of View. Schaukästen und Vitrinen von Susan Donath, Stefan Leyh, Alexandra Klawitter, Anne Schmidt und Birgit Schuh. Vom 24. September bis 24. Oktober, Kunstbahnhof, DD. Eröffnung am 24. September, 19 Uhr

kunstbahnhof v. 2/2008