PRESSEECHO SYNTHESE / SINTEZE

DNN

Geschichten von Tradition und Verlust

Galerie Kunstbahnhof zeigt Glasarbeiten aus der Kunstakademie Vilnius

Das Thema ist durchaus speziell. Aber sie hätte schon mehrere Anrufe erhalten, sagt Anke Binnewerg, die Ausstellungsmacherin. Einige Kunstinteressierte seien sogar aus Berlin angereist.
Im Kunstbahnhof über der Glaswerkstatt Körner auf der Tharandter Straße sind derzeit noch Glasarbeiten von zwanzig Studenten der Kunstakademie Vilnius zu sehen.
Eine Führung mit Anke Binnewerg, die im Atelier nebenan selbst künstlerisch arbeitet, lohnt sich. Es geht vorbei an Arbeiten aus dem ersten Semester - einem Entwurf für ein Bleiglasfenster mit gemusterten Stoffen, Obstkörben, ornamentartiger Schrift. Das mutet frisch und verspielt an. Es geht weiter zu klassizistisch-traditionellem Fensterschmuck und Kompositionen für die orthodoxe Kirche. Das scheint eher starr, vom Zweck getragen. Und es führt schließlich zu freieren Projekten, die erst "in den letzten Jahren möglich wurden", wie die junge Kuratorin erklärt. In einem Bachbett steht eine rote Glasscheibe und erinnert an eine Brücke. Glaskugeln liegen wie Fremdkörper zwischen Kieseln und Schwemmholz. In der Fotoserie daneben wachsen Glühbirnen an langen Drähten aus verschiedenen Landschaften.
Das ist ein anderer Himmel, das ist eine andere Auffassung von Kunst, das sticht sofort ins Auge. In Litauen herrsche auch eine andere Auffassung vom Studium, fährt Anke Binnewerg fort. Alles sehr akademisch, viele Kurse drehten ich um formale, handwerkliche Dinge, zwischen Professoren und Studenten bestünde ein traditionelles, kaum auf individuelle Entwicklung ausgelegtes Verhältnis. Die Künstlerin kennt es aus eigener Anschauung. 2003 fuhr sie nach Vilnius, um an der dortigen Kunstakademie zu studieren. Wer ein Glaskünstler werden will, der findet an deutschen Kunstakademien nur selten Kurse und höchstens einen Glasofen in der Ecke einer Malglasse. Nur in Frankreich lässt sich diese Kunstrichtung studieren - oder eben in Vilnius.
Vor wenigen Wochen hat Anke Binnewerg ihr Meisterschülerstudium bei Christian Sery an der Dresdner Kunsthochschule beendet. Mit der litauischen Hauptstadt verbinden sie bis heute gute Kontakte. Wie zu Professor Algirdas Dovydenas, der das Archiv der Akademie für die Ausstellung öffnete. Oder die zu Egle Rakauskaite, einer jungen Absolventin, mit der sie sich anfreundete. Auf Fotografien sind deren leider nicht realisierten Entwürfe für eine moderne Kirche zu sehen - mit einer Skulptur aus gebogenen Glasplatten, die - das kann man sich gut vorstellen - bei Sonneneinstrahlung wie ein Lüster zu leuchten beginnt. Wen der Werkstoff Glas interessiert, der wird in dieser Ausstellung viel erfahren. Zum Beispiel über die Farbe Schwarzlot, mit der schon im Mittelalter gemalt wurde. Oder über Trennmittel auf dem Glas, die im Ofen beim Schmelzen unregelmäßige Oberflächen ergeben.
Denn vor der Wende stellte Litauen eine Art Zentrum der Glaskunst in der Sowjetunion dar. Hier wurde eine eigene Kunstform erfunden - die Betonverglasungen, die mit der Architektur der Plattenbauten aufkamen. Das ist in Form gegossenes oder mit scharfen Werkzeugen gespaltenes Glas, dass in den Putz gedrückt wird und mit seinen leuchtenden Farben und schartigen Oberflächen wunderschöne Glasreflexionen erzeugt. Heute existieren die Fabriken nicht mehr. Der Staat als Geldgeber hat sich verabschiedet. Aufträge kommen höchstens noch von den Kirchen. Und so erzählt die Ausstellung nicht nur die Geschichte von einer anderen Kultur, von ausgeprägtem Handwerk, von Tradition und aufbrechender Moderne, sondern auch von Verlusten.

Dresdner Neueste Nachrichten, Andrea Rook, 02.10.2007, Seite 11.

GLASHAUS KREFELD

"Synthese"

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die litauische Glasmalerei nach jahrhundertelanger Pause wieder belebt und hat sich seitdem stetig weiterentwickelt. Heute stellt sie, sicher auch durch den Studiengang an der Vilniusser Kunstakademie, eine lebendige Richtung innerhalb des litauischen Kunstschaffens dar.
In der litauischen Glasmalerei lassen sich vielfältige Einflüsse feststellen, so z.B. aus der französischen Glasmalerei, der litauischen Volkskunst, der Glasmalerei der Gotik und aus religiös und historisch geprägten Bilderwelten.
Umso spannender ist es mitzuerleben, wie die Studenten des Fachbereichs Glasmalerei der Kunstakademie Vilnius mit dieser Ausgangslage umgehen und vorsichtig neue und andersartige Einflüsse mit einbeziehen. Merklich wird dies zum Beispiel in dem Versuch, die zweidimensionale Technik in die dritte Dimension zu transferieren, im Einsatz neuer Techniken und Materialien. Sichtbar ist auch eine Hinwendung zur zeitgenössischen Kunst und der Wille, aktuelle Fragestellungen mit der Jahrhunderte alten und zuweilen sperrigen Technik auszudrücken. Die Synthese mag im Auge des Betrachters vor sich gehen.

An der Ausstellung im Kunstbahnhof Dresden sind beteiligt: K. Baliunaite, D. Baranauskaite, V. Bikneviciute, T. Butnorius, D. Cepelevic, V. Dailidenas, A. Dubrovskis M. Galinskaite, M. Juodagalvis, M. Jursyte, A. Kairyte, J. Kamarauskaite, L. Karciauskaite , L. Keleryte, R. Klimciukas, A. Kuginyte, E. Kureckiene, I. Lapkunaite, A. Lekstutis, V. Leontjeva, G. Luksyte, K. Maciulaityte, L. Nenartonyte, I. Paltanaviciute, I. Petraityte, I. Petrovskaya, I. Simkeviciute I, V. Slivkaite, M. Taljun, N. Vasiliauskaite, A. Zaikinas, G. Zalgiris.

Zeitschrift Glashaus Krefeld, Anke Binnewerg, Ausgabe 3/2007, S. 28.

kunstbahnhof v. 2/2008