PRESSEECHO S U R RENDER F A C E S

DRESDNER STADTMAGAZIN

Krokodil auf Kollissionskurs

Der Plauener Kunstbahnhof präsentiert Landschaft auf der Metaebene

Bei Einheimischen wie Touristen beliebt ist Dresden nicht nur wegen diverser kultureller, sondern auch aufgrund vielfältiger landschaftlicher Höhepunkte innerhalb und unweit der Stadtgrenzen. Auch im Plauenschen Grund, an der gedachten Grenzlinie zwischen »innerhalb« und »unweit«, hat es Landschaft satt. Touristisch erschlossen und pädagogisch wertvoll ist diese seit wenigen Monaten, seit hier der Bienertweg Landschaft und Kultur vereint und auf bislang zehn Infotafeln erklärt. Eine der ausgewiesenen Attraktionen zwischen Hofmühle und Felsenkeller stellt der alte Plauensche Bahnhof dar, an dem allerdings schon lange kein Zug mehr abfährt. Statt dessen hat hier vor zwei Jahren eine Glaswerkstatt ihr Domizil gefunden. Über den Glasern, im ersten Stock des schnuckligen kleinen Gebäudes herrscht seitdem Anke Binnewerg. Weitab vom allmonatlichen Vernissagengetümmel der Neustadt und von staatlich verwalteter Großkunst betreibt die HfBK-Meisterschülerin eine kleine Galerie, die vor allem jungen und vom konventionellen Kunstmarkt eher abgekoppelten nationalen und internationalen Künstlern eine Plattform bietet. Was nicht bedeutet, dass es der geneigte Besucher im Kunstbahnhof mit zweitrangiger Amateurkunst zu tun bekommt. Das Abgekoppeltsein hängt vor allem mit der inhaltlichen Ausrichtung der Galerie zusammen: Architektur-, raum- und materialbezogene Kunst sind hier vornehmlich zu sehen, Licht und Transparenz spielen eine Rolle, Dinge also, die man sich nur bedingt übers Sofa hängen kann.

Die Gesetze der Optik kommen im Kunstbahnhof auch im Juni voll zum Einsatz, vermitteln sollen sie allerdings ein Phänomen, von dem eingangs schon die Rede war: Landschaft. Ergänzend zum vorrangig heimatkundlich geprägten Landschaftskonsum des Bienertweg-Flaneurs wird der Begriff »Landschaft« hier allerdings mit ganz neuen Bedeutungsinhalten aufgeladen. Im Spannungsfeld zwischen Realität, Illusion und Meditation bewegen sich die Arbeiten von Antje Seeger, die an den Wänden der Galerie zu sehen und doch nicht zu sehen sind.

Beim Betreten der Räume im ehemaligen Plauener Bahnhof wird auf den ersten Blick schon mal klar, dass die Begriffe Kunst und Landschaft sich in dieser Ausstellung nicht im herkömmlichen Sinne vereinen. An den Wänden hängen weder romantisierende Sonnenuntergänge in Öl noch betuliche Aquarelle mit Toskana-Ambiente, an diesen Wänden hängt nichts. In den Genuss der mal psychedelisch-informellen, mal graphisch-konkreten topographischen Exkurse von Seeger gelangt erst, wer die Installation in den Räumen des Kunstbahnhofs zu nutzen weiß: Beim Blick durchs vielfach vorhandene Plastikdoppelokular sind besagte Wände plötzlich bevölkert vom Krokodil auf Kollisionskurs, vom weisen Mann (und dem Meer), von bekannten geographischen Phänomenen wie dem Olymp und eher unbekannten, wie dem afrikanischen Dorf Chumuyu. Es ist ein Vexierspiel auf zwei Ebenen, das die Künstlerin betreibt. Zum einen geht es um die Interpretation realer Topographien, zum anderen um ihre Verortung im räumlichen Bezug der Galerie. Und auch die Verortung des Galeriebesuchers könnte eine Rolle spielen, was testen kann, wer sich in der großen Gruppe in den Kunstbahnhof begibt: Beim Blick durch eines der besagten Plastikokulare sind die Freunde, die eben noch im Raum standen, plötzlich nicht mehr da. Insofern wird die vollmundige stadtplanungsamtliche Verheißung zum Bienertweg auf alle Fälle wahr: »Er ist scheinbar kurz, aber von überdurchschnittlichem Erlebniswert«, ist im Infoblatt zum Lehrpfad zu lesen. Man darf dann nur den Kunstbahnhof nicht auslassen.

 

André Hennig, Stadtagazin Dresdner, Juniausgabe 2007, Seite 22/23.

PLUSZ DRESDEN

Mit dem Gucki sieht man besser


Die Galerie Kunstbahnhof präsentiert derzeit Bilder durch den Guckkasten.     
Dem Ostsozialisierten dürften die an Ferngläser erinnernden Objekte noch als jene Zauberkästen bekannt sein, in denen Fernsehlieblinge wie Herr Fuchs und Frau Elster in leibhaftiger Dreidimensionalität erschienen, vorausgesetzt, man hatte entsprechende Diapositive eingeschoben. Die Künstlerin Antje Seeger bedient sich dieser Plasteoculare zur Inszenierung einer erfrischend-vergnüglichen Ausstellung: In den bildleeren Räumen der Galerie Kunstbahnhof stehen locker verteilt rund 20 Stäbe, auf diese hat Antje Seeger besagte Guckkästen montiert. Nur dem beherzten Durchschauer offenbaren sich Seegers Bilderpräsentationen, die als dreidimensionale Raumansichten im Gucki stecken. Und da gibt es einiges zu entdecken: stimmungsvolles Gewölk in Türkis und Wüstengelb beispielsweise oder eine Kollision mit Krokodil in strengerem Schwarz-Weiß. Die Künstlerin verarbeitet dafür am Rechner real existierende Daten wie Höhenlinien topografischer Karten zu eigenwilligen Landschaftsinterpretationen. Spielerisch, auch in der Titelvergabe, vermittelt die studierte Landschaftsarchitektin damit ihre Auffassung vom Landschaftsbild in seiner möglichen Vielschichtigkeit und Wahrnehmungsfülle.  Eine Chance für junge Kunst  Freiräume für derart unkonventionelle Ausstellungen bietet das nichtkommerziell angelegte Konzept der Galerie Kunstbahnhof im ehemaligen Bahnhof Plauen. Anke Binnewerg, selbst Künstlerin, leitet das 2005 gegründete, vom Kulturamt geförderte und von der im selben Haus residierenden Glaswerkstatt freundlich unterstützte Projekt. Die derzeitige Meisterschülerin an der Kunsthochschule fand über das von ihr bevorzugt genutzte Material Glas den Weg nach Plauen. Thematisch bewegen sich ihre eigenen Arbeiten im Spannungsfeld zwischen Wahrnehmbarkeit räumlicher Strukturen, Täuschungen und Spiegelungen. So setzt Anke Binnewerg auch inhaltliche Schwerpunkte im Galerieprogramm auf architektur- und materialbezogene Kunst, Lichtkunst und Transparenz. Dogmatismus ist ihr bei der Auswahl der vorgestellten Positionen glücklicherweise fremd. Junge, unetablierte Künstler bekommen bevorzugt eine Ausstellungschance. Ein kleiner Luxus, den sie sich gestatten kann, der nicht vom Handel mit der Kunst leben muss. Künstler mit ungewöhnlichen Ideen und Präsentationsformen wie Antje Seeger wissen das besonders zu schätzen.

 

Grit Mocci, Sächsische Zeitung, 1. Juni 2007.

kunstbahnhof v. 2/2008