2011. VEDUTEN. Presseecho.

Sächsische Zeitung

Die letzte Stadt wird im Kohlenkeller gebaut

Anke Binnewerg aus Kurort Hartha und Joachim Gelfert aus Tharandt zeigen im Einnehmerhaus Freital ihre „Veduten“.

Die letzte Stadt wir im Keller gebaut, wenn alle Kohlen verheizt sind. Auf dem feuchten Dreck wachsen Kuppeln und Türme in den schwarzen Himmel. Keine Sonne, kein Mond und keine Sterne. Schwarzlicht bringt die eigentümliche Szenerie punktuell zu neonfarbigem Leuchten. Die rote Herzallee führt am Tempel vorbei zu grünen Wolkenkratzern, die wie mahnende Finger in die dunkelblau illuminierte Unwirklichkeit stoßen.
Anke Binnewerg hat ihre „Last City“ im Souterrain des Einnehmerhauses Freital aufgebaut. Sie besteht aus alltäglichen Kunststoffverpackungen wie Joghurt-bechern, Obstschalen oder CD-Hüllen. Eine weggeworfene Stadt der Wegwerf-gesellschaft sozusagen, die auch nur noch in Teilen intakt ist. Eine Trümmerwüste dehnt sich am Rande aus, freilich nicht weniger faszinierend beleuchtet. In der Ästhetik verschwindet der Unterschied zwischen Müll und Urbanität im feuchten Gewölbe des fast zweihundert Jahre alten Chauseehauses.
„Last City“ ist eine der „Veduten“, die Anke Binnewerg aus Kurort Hartha und Joachim Gelfert aus Tharandt seit gestern in Potschappel an der Stadtgrenze zu Dresden zeigen. Den Begriff Veduten verbinden kunstsinnige Menschen unserer Gegend gern mit Bernardo Belotto, der als Canaletto im 18. Jahrhundert detail-verliebte Ansichten von Dresden und Pirna gemalt hat. Obwohl Vedute per Definition eine wirklichkeitsgetreue Abbildung meint, nahmen es die alten Meister nicht immer so genau damit. Canaletto ließ die Sonne auch schon mal im Norden aufgehen, wenn es seiner Komposition diente.

Weimar in Briefmarken
Die beiden Künstler der Gegenwart nehmen sich für ihre Veduten freilich noch einige Freiheiten mehr heraus. Mit sehr verschiedenen Handschriften und der Sicht unterschiedlicher Generationen. Die 33-jährige Anke Binnewerg, Absolventin und Meisterschülerin der Hochschule für Bildende Künste Dresden, widmet sich mit Installationen verlassenen Orten wie der Königsmühle in Dresden- Plauen, fotografiert den Zerfall der tschechischen Stadt Usti nad Labem oder den Parkplatz vor einer Moschee im französischen Straßburg. In 24 Rahmen widmet sie sich in ungewöhnlicher Weise der Stadt Weimar. Sie hat sämtliche deutsche Briefmarken zusammengetragen, die sich mit Weimar beschäftigen.
Eine gezeichnete Marke allerdings, ein Unikat, durchbricht den scheinbar festgefügten Block: Es ist eine Miniatur von Joachim Gelfert, die wieder alles infrage stellt. Der gebürtige Rabenauer, der in diesem Jahr 80 wird, hat klein-formatige Zeichnungen und einige Gemälde ausgewählt, die mit Binnewergs Stadtansichten wunderbar korrespondieren. Gelfert, der an der Kunsthochschule in Dresden bei Otto Griebel und Erich Fraaß studierte, malt und skizziert Parklandschaften in München, eine „Giftschleuder“ ebenda, Architektur in Sizilien, aber auch imaginäre Städte, mehr oder weniger abstrahiert.

Freiheit als fliehendes Pferd
Viele seiner Bilder, die jetzt erstmals öffentlich ausgestellt werden, sind Miniaturen, manche kleiner, die meisten kaum größer als Postkarten. Sie sind voll versteckter Symbole, mit denen Gelfert die Gesellschaft und das Leben kommentiert. Die Freiheit ist ihm wichtig, die zum Beispiel in Form eines rosafarbenen Pferdes aus dem Nymphenpark flieht. 1960 floh Joachim Gelfert vor der beruflichen Aussichtslosigkeit aus der DDR. 2002 kehrte er zurück und wohnt seitdem in Tharandt. Berühmt ist er im Westen nicht geworden, er schuf im Verborgenen. Seine erste Personalausstellung hatte er 2005 in der Galerie Kunstbahnhof von Anke Binnewerg in Dresden-Plauen.
Sie freut sich über die Zusammenarbeit mit Joachim Gelfert, vor allem, dass nun auch seine Zeichnungen zu sehen sind, für die damals kein Platz war.  Im ersten Stock hat Anke Binnewerg ein Kabinett mit Gelferts Stadtansichten und Landschaften aus vierzig Jahren eingerichtet, als Pendant zu ihrer „Last City“ im Keller.
Es ist noch nicht alles verloren. Nur für den, der vergisst rechtzeitig den Kopf einzuziehen. Im Angesicht des Untergangs ist kein aufrechter Gang mehr möglich. Daran sollten wir besser vorher denken.

Thomas Morgenroth
Sächsische Zeitung, Ausgabe Freital, 7. Februar 2011, Seite 25

kunstbahnhof v. 2/2008