PRESSEECHO HOLY THINGS - HOLY PLACES.

DNN

UNheilig
Bei der Ausstellung „holy things – holy places“ im Heizkraftwerk wird das Heilige auf seine Profanität abgeklopft

Es ist ein eher unscheinbares Gebäude auf dem weitläufigen Gelände des Heizkraftwerks Mitte. Früher beherbergte der lange Kasten an der Schweriner Straße die Starkstrom-Schaltanlagen. Heute dünstet der Bau den morbiden Charme verfallener Industriearchitektur aus. Lange Gänge, flankiert von leeren, zellenähnlichen Nischen. Schauplatz der Ausstellung „holy things – holy places“, mit der junge Künstler aus Dresden, Berlin und Tschechien einen eignen, etwas anderen Blick in Richtung Kirchentag wagen.
Das beginnt schon vor den Toren, draußen an der Alfred-Althus-Straße. Ein paar Schritte seitwärts des engen Durchschlupfs, der den Weg zur Ausstellung markiert, hängt eine Jesus-Figur recht kunstvoll in einem Baum. Ihre gekreuzten Arme scheinen mit einem Zweig verwachsen, Libor Novotny hat diese Intervention „Ein Wunder…“ betitelt. Heidnisches schimmert hier bereits durch. Hing nicht der nordische Gott Odin 9 Tage im Weltenbaum Yggdrasil, als Selbstopfer? Heilig, das sagt der erste Blick ins Blätterdach, hat hier nur bedingt mit Kirche zutun. Es geht um Formulierungen über den religiösen und sakralen Raum hinaus. Das Heilige wird entblättert, indem es auf seine Existenz im Weltlichen, mithin auf seine Profanität untersucht wird. Und andererseits: Jede Heiligkeit im kirchlichen Sinn hatte ihre Vorläufer im Heidentum.

Kein Dresden-Tunnelblick
Birgit Schuh lehnt sich mit ihrem „Fleischherz“, das direkt unter Glas sichtbar pulsiert, sehr direkt an das Kirchentagsmotto an. Das überdimensionale Organ erscheint aber entromantisiert, auf die Funktion begrenzt. Der Motor des Lebens als nackter Fleischklumpen – kein Hort für Emotionen. Susan Donath sucht dagegen in ihrem Video „Hl. Jungfrau von Lourdes quergebürstet“ harsch liebevoll die Annäherung an das Heilige. Das Schrubben einer solchen Heiligenfigur ist nicht nur Akt der Säuberung. Es ist Bild gewordener Versuch, einen Mythos zu entkleiden.
Während Paul Elsner eine stilisierte, in bläulichem Licht schimmernde „Marien-konstruktion“ im Haus so anordnet, als würde der Besucher keine Kraftwerks-etage, sondern eine Kapelle betreten, geht Karen Koschnick mit ihrem Werk „Morgendliche Einsamkeit“ einen Weg hin zum kontemplativ anmutenden Rückzug ins Private. Ihre Nachbildung des Hauses von Arno Schmidt im niedersächsischen Bargfeld ist der Ausdruck eines Ideals. Der Autor Schmidt fand im Original mehr als 20 Jahre lang den perfekten Ort um zu arbeiten. Das karg eingerichtete Arbeitszimmer war ihm Arbeitsumgebung und Inspiration. Das Modellhaus Koschnicks ruht auf einem Podest, der Besucher kann seinen Kopf durch den Fußboden stecken – und hört Schreibmaschinengeklapper. Eine Erscheinungsform des Heiligen, das hier äußerst amorph ist.
Die Vorarbeit zu dieser Ausstellung, an der 15 Künstler und drei Künstlergruppen beteiligt sind, erfolgte im Februar als Workshop. Verkürzt dargestellt sollte die Aura der Stadt gesucht werden, Orte, an denen sie sich manifestiert. Herausgekommen sind komplex-spielerische Sichtweisen mit unterschiedlichem Gewicht. Ihr Eingehen auf städtische Belange ist nicht notwendigerweise an Adressen und Orte gebunden. Selbst Olaf Ambergs Video „Die Ausreißung der Seele“, das Abrissarbeiten des Heizkraftwerks in verwackelten Bildern festhält, hat zwar den Genius Loci des Ausstellungsortes selbst aufgegriffen, könnte aber genauso gut jedwede andere Art harter Eingriffe in zahllosen Kontexten zum Thema haben.

Besucher sind gefordert
Das Ausstellungsthema wird ständig geerdet, auch durch Interaktion. Sebastian Hempels Audiospur „When The Saints Go Marching In“ erklingt erst durch die Besucher, die ebenso Beatrice Jugerts „Megaphon für die Vielen“  ertönen lassen können. Nach Rundgängen auf zwei Etagen stellt sich schließlich beim Verlassen des ehemaligen Schaltanlagen-Gebäudes die Frage: Wenn das Heilige austauschbar wird wie seine Orte, verliert es dann die Aura des Erhabenen? Eine Antwort kann genau so wenig in ein Wort gepackt werden wie diese Ausstellung.

 

Dresdner Neueste Nachrichten, Torsten Klaus, 4./5.6.2011, Seite 17.

PluSZ

AUra, Kreuz und Zweifel

Rund um den 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden gruppieren sich auch diverse Ausstellungsprojekte

Der erste Anlaufpunkt ist das Kraftwerk Mitte mit der Ausstellung „Holy Things – Holy Places“, das die Kuratoren Anke Binnewerg und Johannes Schmidt das passende örtliche Pendant bietet auf der Suche nach „Heiligen Orten“ und Konstruktionen von Aura, Bedeutung und Mythos in künstlerischen Arbeiten. Durch das Thema verschiebt sich die Zuordnung der Räumlichkeiten – so erinnert die Halle den Kurator Johannes Schmidt an eine dreischiffige Basilika; die Nischen erscheinen wie kleine, zu Meditation geeignete Mönchszellen, in denen 20 Künstler aus Deutschland und Tschechien ihre Werke zeigen.

Die Distanzen der einzelnen Arbeiten zu Fragestellungen nach Sinnsuche und Aufladung sind von Arbeit zu Arbeit unterschiedlich: Manchmal sind es erkennbare Motive „abgesegneter“ Themen wie Madonnen, Heilige oder Bibelreminiszensen, manchmal lässt sich der Zusammenhang zu den Ausgangsthemen nur schwer herstellen. Dazwischen entdeckt man aber immer mal wieder erheiternde oder anregende Arbeiten, die gedankliche Anstöße in einem größeren Rahmen zu genannten Leitgedanken geben. So deckt das „Cocteauphon III“, ein riesiges graues Sprachrohr von Beatrice Jugert die „Stimme der Massen“ als Schein- phänomen auf. Hier bezieht sie sich auf Jean Cocteau, der in seinen Filmen Hintergrundgeräusche von großen Menschenmassen mittels eines Gerätes künstlich imitieren ließ. Britta Jonas wunderbare Installation „13 Münzen“, die zwischen Raum, Fläche, Objekt und Relief changiert, eröffnet Assoziationen zu gleichzeitig christlichen Altarbildern, asiatischen Holzschnitten und einer großen gebauten Tarotkarte. Ein großes Herz aus Silikon von Birgit Schuh schlägt durch einen Motor in seinem Innenleben und wird in all seiner künstlichen Fleischlichkeit ein ganz irdisches Organ. Susan Schmidt und David Buob erzeugen in Film- sequenzen merkwürdige, symbolhaltige Szenen, die sich jedoch – im Gegensatz zur christlichen Ikononographie – nicht mehr eindeutig zuordnen lassen. Im Außenraum bietet Libor Novotny dem aufmerksamen Besucher dieser vom Kulturamt initiierten Ausstellung eine humorvolle, göttliche Erscheinung. […]

PluSZ, Su-Ran Sichling, 1. Juni 2011, Seite 4  

Dresdner Kultur-magazin

Die Aura der Stadt und die Aura des Werkes
Zeitgenössische experimentelle Ausdrucksformen im Kraftwerk Mitte

Vermutlich wird das Kraftwerk Mitte keine Tate Modern Gallery. Man soll ja auch nicht Apfel mit Birnen und Dresden mit London vergleichen. Doch ist die komplett entkernte Industrieruine am Bahnhof Mitte eine perfekte Location für die Ausstellung "Holy Things - Holy Places". Die Kuratoren Anke Binnewerg und Johannes Schmidt stellen hier auf Einladung des Kirchentages junge experimentelle Kunst vor.

Einst auf drei Stockwerken Hülle für Transformatorentechnik ist die Schalthalle des Kraftwerks Mitte ein besonderer Ort, ein Ort mit Strahlkraft. Und darum gehts's. Wie lassen sich heutzutage so nebulöse Dinge wie Aura, Mythos und Pathos mit der Kunst verbinden? Ohne dass eine der Religion dienende Funktion des Kunstwerks gegeben wäre, wie in vergangenen Jahrhunderten üblich.

Künstler mit lokalem Bezug und Gäste aus Tschechien beziehen sich mit ihren Werken auf den genius loci, auf Vorstellungen von "religiösen" Orten und der zu unterschiedlichen Zeiten ganz verschieden inszenierten "heiligen" Atmosphäre. Das Projekt punktet mit Fotografien, Videos und Installationen, die den Umgang mit dem Auratischen bzw. die "veredelnde Hand" des künstlers beispielhaft sichtbar machen sollen. Egal ob direkt oder mit ironischem Unterton - virtuos führen etwa Susan Donath, Sebastian Hempel oder Libor Novotný den Umgang mit Patzhosformeln vor, die Aufladng mit Bedeutung und das Geheimnis im Jahr 2011 nach Christus.

Dresdner Kulturmagazin (GD), Ausgabe Juni 2011, Seite 7

Sächsische Zeitung

Junge, wilde Künstler im ehemaligen Heizkraftwerk Mitte

Kulturen aller Zeiten und Regionen verfügen über „heilige Orte“, denen eine besondere Aura zugesprochen wird – etwa Opferstätten, Friedhöfe, Wirkstätten von Märtyrern sowie Orte, die mit Riten in Verbindung stehen. Vor allem in der jüdisch-christlichen Tradition spielen sie eine entscheidende Rolle zur Überlieferung und Festigung des Glaubens. Gibt es das in Dresden auch? Wie kann man das fassen, gar darstellen? Wie entstehen neue mythische Orte? Die Ausstellung „Holy Things – Holy Places“ im ehemaligen Heizkraftwerk Mitte geht genau dieser Frage nach. Die Kuratoren Johannes Schmidt und Anke Binnewerg haben 18 Künstler um einen Beitrag dazu gebeten. Ihre Ausstellung ist als Gegenpool zur klassischen Kirchentags-Ausstellung „Kreuzförmig“ gedacht. „Wir sind die jungen Wilden“, verspricht Anke Binnewerg. Zu sehen sind ab 26. Mai, 19 Uhr experimentelle Arbeiten, Videokunst oder interaktive Audio-Kunstwerke. Die Ausstellung läuft bis 26. Juni.

Sächsische Zeitung, 25.5.2011, Seite 9.

kunstbahnhof v. 2/2008