2006 DER EINGEFANGENE WIND. ARTIKEL

SÄCHSISCHE ZEITUNG

DER EINGEFANGENE WIND

Portrait. Meisterschülern Anke Binnewerg aus Kurort Hartha, die in Dresden-Plauen ihr Atelier hat, arbeitet mit Glas und Fundstücken

Die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland ist allgegenwärtig. In einem ruinösen Lagerhaus an der Tharandter Straße in Dresden-Plauen ist sie blau. Zwischen Fensterscheiben, Putzstücken, Staub und Dreck fügt Anke Binnewerg Dutzende gedruckter Spielfelder zu ihrer "Kickskizze" aneinander. Es entsteht ein fünfzig Zentimeter breiter Weg, der, am Fenster beginnend zehn Meter durch den Raum führt, um sich an der Wand ins Ungewisse zu verlieren. Die Verbindung zwischen Realität und Imagination existiert weniger als eine Viertelstunde. Dann legt die 28-jährige die Blätter wieder übereinander und trägt sie an einen anderen Ort.
Nein, eine Hommage an das beliebteste Ballspiel der Welt ist die temporäre Installation der Künstlerin keineswegs. Es ist purer Zufall, dass Anke Binnewerg bei ihren Streifzügen durch Landschaften und leerstehende Gebäude gerade in diesen Tagen die blauen Fußballfelder aus kaschiertem Papier fand. Sie würde auch Kegelbahnen oder Autorennbahnen benutzen, sofern sie handlich und zahlreich vorhanden sind. In einem Abbruchhaus arrangierte sie zum Beispiel rostige Lampenkästen für Leuchtstoffröhren zu einem Muster. Oder sie trägt Spiegel in Form barocker Säulen in den Bienert-Park, lehnt sie an Bäume und Mauern, platziert sie am Bahndamm und an Durchgängen.
Anke Binnewerg verbindet Räume, sie lotet die Welt zwischen Wirklichkeit und Täuschung aus. Ihre Objekte heißen "Reih um", "Zirkumflex" oder "Der eingefangene Wind". Das Wechselspiel zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem ist ihr Thema, das sie schon während ihres Studiums an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden in Glas umsetzt. [...]

Urmeer als Kunstprojekt

Im Körnerschen Kunstbahnhof hat Anke Binnewerg, die seit Oktober Meisterschülerin bei Professor Christian Sery ist, jetzt auch ihr Atelier. Über Glas ist die junge Frau inzwischen an andere Materialien gekommen. Für die Ausstellung "Light my way" mit Heike Keller in diesem April in München nutzte sie zum Beispiel fluoreszierendes Acrylglas und Acrylglasgranulat. Und die blauen Fußballfelder führen ab 16. Juni als Wege über Fußböden, Wände und Decken der Galerie Ruth Sachse in Hamburg.
Die Künstlerin arbeitet derzeit an einem Modell für diese Ausstellung. Darüber an der Wand hängt eine bedruckte und mit Tempera colorierte Vision, deren Verwirklichung wohl noch etwas Zeit braucht. "Mein Millionenprojekt", nennt Anke Binnewerg ihre Idee, das Urmeer in den Plauenschen Grund zurückzuholen. Zwischen Autobahnbrücke und Felswände will sie riesige baue Planen spannen. Von oben sehen diese wie eine Wasserfläche aus, die von der betonierten Schnellstraße durchschnitten wird. Und darunter gehen Taucher spazieren.

Thomas Morgenroth, Sächsische Zeitung, 31.05.2006, S. 9

kunstbahnhof v. 2/2008